Mit Urteil vom 29. August 2017 (4 K 2296/15) hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz entschieden, dass Großeltern für ihr Enkelkind auch dann Kindergeld erhalten können, wenn Mutter und Kind zwar aus dem gemeinsamen Haushalt mit den Großeltern ausziehen, das Kind aber tatsächlich überwiegend nach wie vor im Haushalt der Großeltern betreut und versorgt wird.
Der Kläger erhielt bis Mai 2015 für seine drei Kinder C., L. und N. und für seine Enkeltochter M. Kindergeld. Als Teil seiner Beamtenbesoldung erhielt er außerdem einen sog. „Familienzuschlag“, dessen Höhe von der Anzahl der Kinder abhängig ist, für die ein Beamter Anspruch auf Kindergeld hat. Die drei Kinder des Klägers und auch sein Enkelkind M. (die Tochter von C.) lebten in seinem Haushalt. Sowohl seine Ehefrau als auch seine Tochter C. waren mit der Zahlung an ihn einverstanden.
Im Mai 2015 zog C. mit ihrer Tochter M. in eine eigene Wohnung. Da C. noch studierte, wurde sie vom Kläger und seiner Ehefrau in der Betreuung und Erziehung von M. unterstützt. Befand sich M. nicht im Kindergarten, wurde sie von C. und/oder dem Kläger bzw. seiner Ehefrau betreut und versorgt. Außerdem übernachtete M. an mehreren Tagen pro Woche in der Wohnung des Klägers in einem eigenen Zimmer.
Die (für Kindergeld zuständige) Familienkasse zahlte dem Kläger ab Mai 2015 kein Kindergeld mehr mit der Begründung, dass M. seit dem Auszug von C. zu dem Haushalt der Mutter (C.) und nicht mehr zum Haushalt des Klägers gehöre.
Der Kläger legte erfolglos Einspruch ein und erhob dann beim FG Klage.
Das Gericht gab der Klage statt und lies die Revision nicht zu, weil es nach der Befragung der Ehefrau des Klägers und der Kindesmutter (C.) als Zeugen die Überzeugung gewonnen hatte, dass M. mit deutlich überwiegendem Gewicht weiterhin in den Haushalt des Klägers aufgenommen sei und dort ihren Lebensmittelpunkt habe. Dabei seien – so das Gericht - insbesondere folgende Umstände entscheidend:
M. habe seit ihrer Geburt (März 2013) im gemeinsamen Haushalt des Klägers mit seiner Ehefrau und der jungen alleinstehenden Kindesmutter C. sowie deren Geschwistern L. und N. gelebt. Dabei sei zwischen den Großeltern (dem Kläger und seiner Ehefrau) und M. durch die Betreuung, Erziehung und Versorgung eine elternähnliche Beziehung entstanden, die mit dem Auszug von C. und M. im Mai 2015 nicht geendet habe. Da M. in der Wohnung des Klägers weiterhin häufig übernachtet und ihr eigenes Zimmer behalten habe, dort auch in deutlich überwiegendem Umfang vom Kläger und seiner Ehefrau versorgt, betreut und erzogen worden sei, habe nicht nur das besondere familiäre Band zwischen Großeltern und Enkelin, sondern auch die Haushaltsaufnahme fortbestanden. Der Kläger und seine Ehefrau hätten sich auch auf eine dauerhafte Betreuung eingerichtet und ihre berufliche Situation darauf ausgerichtet: Die Ehefrau des Klägers habe auf eine Erhöhung ihrer gleitenden Arbeitszeit verzichtet und der Kläger arbeite an mehreren Wochentagen am häuslichen Telearbeitsplatz. Die Betreuungsleistungen des Klägers und seiner Ehefrau seien wohl auch aus Sicht der Kindesmutter C. von hohem Gewicht, da sie auf ihren Kindergeldanspruch zu Gunsten des Klägers verzichtet habe. Aber auch ohne diesen Verzicht stünde hier dem Kläger das Kindergeld zu, da es bei mehrfachen Haushaltsaufnahmen keinen vorrangigen Kindergeldanspruch der leiblichen Eltern gebe. Maßgeblich sei allein, in welchem der Haushalte das Kind überwiegend versorgt und betreut werde.
Kontext der Entscheidung
Im vorliegenden Fall war die Frage, ob der Kläger oder seiner Tochter C. (vorrangig) kindergeldberechtigt ist, deshalb von entscheidender Bedeutung, weil der Kläger als Teil seiner Beamtenbesoldung einen sog. „Familienzuschlag“ erhielt, dessen Höhe von der Anzahl der Kinder abhängig ist, für die ein Beamter Anspruch auf Kindergeld hat. Hätte das Kindergeld für das Enkelkind also nicht ihm, sondern seiner Tochter zugestanden, hätte er einen niedrigeren Familienzuschlag erhalten (aktuell würde die Kürzung 367,58 €/Monat betragen). Dabei hat die Besoldungsstelle kein eigenes Prüfungsrecht, sie ist vielmehr an die Entscheidung der Familienkasse gebunden. Daher wird über die Höhe des Familienzuschlags „faktisch“ in dem Verfahren wegen Kindergeld gestritten.
Dies erklärt, weshalb der Kläger geklagt hat bzw. hat klagen müssen, obwohl er sich mit seiner Tochter (im Innenverhältnis) wohl einig war. Insoweit unterscheidet sich der Streitfall allerdings von dem weit häufigeren Fall, dass sich die potentiell Berechtigten nämlich nicht einig sind, wem der Anspruch auf Kindergeld zusteht.
Nach den Vorschriften des Kindergeldrechts (§§ 62 ff. Einkommensteuergesetz - EStG) ist grundsätzlich jeder Elternteil für das leibliche Kind kindergeldberechtigt. Auch Großeltern sind kindergeldberechtigt, wenn sie ein Enkelkind in ihren Haushalt aufgenommen haben. Beim Zusammentreffen mehrerer Ansprüche wird allerdings nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt, und zwar demjenigen, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat. Eine Aufteilung des Kindergeldes auf mehrere Berechtigte ist nicht zulässig. Das hat folgende Konsequenzen:
- Lebt ein Kind im gemeinsamen Haushalt seiner Eltern, müssen sie sich einigen und bestimmen, wer von ihnen das Kindergeld erhalten soll. Können sie sich nicht einigen, bestimmt das Familiengericht auf Antrag den Berechtigten (§ 64 Abs. 2 Satz 3 EStG). Entsprechendes gilt, wenn ein Kind in den gemeinsamen Haushalt seiner Großeltern aufgenommen ist. Dann müssen sich entweder die Großeltern einigen oder es entscheidet das Familiengericht.
- Bei getrennt lebenden Eltern steht der Anspruch auf Kindergeld nur demjenigen Elternteil zu, der das Kind in seinen Haushalt aufnimmt und es überwiegend betreut und versorgt.
- Gibt es einen gemeinsamen Haushalt von Eltern/Elternteil und Großeltern ist kaum oder nur mit unzumutbarem Aufwand feststellbar, wer für das in diesem gemeinsamen Haushalt lebende Kind bzw. Enkelkind den größeren Betreuungs- und Versorgungsbeitrag materieller und/oder immaterieller Art leistet. Der Gesetzgeber hat daher für diesen (speziellen) Fall die Regelung getroffen, dass der Kindergeldanspruch vorrangig den Eltern bzw. dem Elternteil (vor den Großeltern) zusteht. Auf diesen Kindergeldanspruch kann aber zu Gunsten eines Großelternteils verzichtet werden. Diese Situation lag im vorliegenden Fall bisMai 2015 vor.
- Liegt dagegen - wie hier ab Mai 2015 (Auszug der Kindesmutter) - kein gemeinsamer Haushalt von Eltern/Elternteil und Großeltern vor und hält sich das Kind sowohl im Haushalt der Eltern bzw. eines Elternteils als auch im Haushalt der Großeltern auf, ist fraglich, wem das Kindergeld (vorrangig) zusteht, weil dieser Fall nicht (ausdrücklich) gesetzlich geregelt ist. Das Finanzgericht vertrat in seiner o.a. Entscheidung die Auffassung, dass es in Fällen dieser Art keinen vorrangigen Anspruch der Eltern gebe und daher festgestellt bzw. entschieden werden müsse, in wessen Haushalt sich das Kind überwiegend aufhalte und seinen Lebensmittelpunkt habe. Ein Verzicht der Eltern auf den Kindergeldanspruch reiche in diesen Fällen daher nicht aus.
Die Entscheidung, in wessen Haushalt sich das Kind überwiegend aufhält und seinen Lebensmittelpunkt hat, muss die dafür kraft Gesetzes zuständige Familienkasse (nicht das Familiengericht) treffen. Im Streitfall entscheidet daher das Finanzgericht.
FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom. 29. August 2017 (4 K 2296/15); die Frist zur (beim BFH) einzulegenden Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision endet am 23. Oktober 2017